Gastbeitrag: Corona und die Globalisierung

Im vergangenen Herbst veröffentlichte das österreichische Gallup-Institut eine Umfrage, derzufolge die Corona-Krise zu einer deutlichen Werteverschiebung geführt hat. Leistbares Wohnen, Beschäftigung und Gesundheit sind demnach jene Themen, die mit Covid-19 am stärksten an Bedeutung gewonnen haben, gefolgt von Regionalität und Nachhaltigkeit in Produktion und Lebensweise. Ist die Globalisierung damit überwunden?

Ausgerechnet ein Virus hat Globalisierungskritikern, rechten Populisten und Anhängern isolationistischer Politik neuen Rückenwind verliehen. Zuvor waren es die nationalen Alleingänge in der Flüchtlingsfrage, Trumps „America first“ und der Brexit, die den Weg ins neue Jahrzehnt vorgezeichnet haben. Während das politische Credo über Jahrzehnte in internationaler Kooperation und multilateralen Organisationen gesehen wurde, wurden zuletzt immer öfters nationale Alleingänge möglich.

Trumps Amerika und Johnsons Großbritannien haben gezeigt, dass man auf den eigenen Vorteil nicht verzichten braucht – auch dann, wenn er rücksichtslos gegenüber anderen durchgesetzt wird. In einem Klima der Ausgrenzung, Abgrenzung und Eingrenzung ist es da nur verständlich, wenn es zu neuen Zerfallserscheinungen kommt: Schon ist wieder von einem Europa der zwei Geschwindigkeiten die Rede, oder auch von einer Abkehr vom Solidaritätsprinzip, nicht nur dann wenn’s ums Geld geht.

Keine Rückkehr zur Normalität

Selbst wenn es nach dem Ende der Corona-Krise zu einem Wirtschaftsboom kommt, ist zu befürchten, dass die Langzeiteffekte für das Wachstum eher karg ausfallen werden. Denn die Globalisierung als Megatrend und Wachstumsbringer verliert weiter an Dynamik, nicht erst seit der Finanzkrise 2008. Die Liberalisierung des Welthandels, der freie Austausch von Kapital, Gütern und Dienstleistungen – musste irgendwann an seine Grenzen stoßen. Kein System kann ewig auf Kosten anderer profitieren.

Corona führt uns deutlich vor Augen, wer die Rechnung für das immer dynamischere Wirtschaftsleben bezahlt. Zuallererst die Natur mit ausgelaugten Böden, abgerodeten Urwäldern und plastikverschmutzten Ozeanen, das Artensterben in der Tierwelt und dann die Menschen in Regionen, die von Ausbeutung und Krieg verwüstet wurden, oder jene, die von der digitalen Transformation überrollt werden. Ein paar Wochen oder Monate Lockdown reichen aus, dass Millionen von Menschen in die Armut stürzen.

Einschränkung der Mobilität

Patriotismus und Nationalismus haben dazu geführt, dass Grenzen über Nacht dichtgemacht werden und jedes Land (wieder) allein entscheidet, wer wohin reisen darf und mit welchen Auflagen oder umgekehrt, wann und wer einreisen darf, und unter welchen Bedingungen. Die Pandemie hat selbst im Inland dazu geführt, dass sich Wiener am Neusiedler See wie unerwünschte Ausländer fühlen mussten oder Zweitwohnsitzer im Salzkammergut von den Einheimischen als „Gefährder“ wahrgenommen werden.

Gab es vor der Krise erste Anzeichen von „Flugscham“ über zuviele, unnötige und zu billige Flugreisen, steht der Flugverkehr inzwischen nahezu still. Und plötzlich geht es auch ohne, mit weniger Mobilität, etwa über Videokonferenzen und Online-Messen. Unternehmen wie Konsumenten sind gezwungen, ihr Verhalten neu zu denken oder gar umzudenken. Was ist, wenn man liebgewordene Prozesse einmal auf ihre Nachhaltigkeit und Kostenrealität prüft? Welche Alternativen gibt es zur grenzenlosen Globalisierung? Und wie abhängig machen wir uns von asiatischen Billigproduzenten und dem weiteren Auslagern und Zerkleinern der Wertschöpfungsketten?

Aufbegehren gegen Politik

Die Politik bezahlt jetzt den Preis dafür. Die bis dato nicht gekannten Einschränkungen persönlicher Freiheitsrechte haben Folgen. In ganz Europa ebenso wie in den USA haben sich Coronaleugner, Impfgegner und Verschwörungstheoretiker zu einem gefährlichen Mob vereinigt, der offen zum Umsturz demokratisch gewählter Institutionen aufruft – befeuert durch rechtsgerichtete „Querdenker“, ungeniert antidemokratische Hetzer und politisch motivierte Hacker. Die lange Zeit verharmloste Globalisierungskritik äußert sich hier in einer offenen Revolte, in der es um angeblich verlorene Werte geht.

Doch welche Werte sind gemeint? Das Recht, Waffen zu tragen? Reichtum zu horten, Andersgläubige zu diskriminieren, Frauen zu benachteiligen? Arbeitslose von der Sozialfürsorge auszunehmen, Obdachlose wegzusperren und Flüchtlinge abzuschieben? Oder geht es doch um grundlegende humane Werte wie Respekt, Zuverlässigkeit, Toleranz, Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft gegenüber Armen und Schwachen, also Wertvorstellungen, die sich trotz Corona kaum verschoben haben dürften.

Universeller Anspruch

Werte, auf die sich wohl alle Menschen einigen könnten, wären Fairness und Gerechtigkeit, also universelle Werte, die von allen eingefordert werden und für alle gleich große Bedeutung haben, egal auf welcher Seite des Reichtums sie stehen und in welchem Land sie wohnen. Fairness entsteht laut dem amerikanischen Philosophen John Rawls, wenn eine Gesellschaft sicherstellt, dass jeder Bürger in den Augen des Gesetzes gleich (= gerecht) behandelt wird und die selben Chancen erhält, in einem sozial ausgewogenen Leben seiner Wahl erfolgreich zu sein.

Jeder Mensch erwartet sich von der Gesellschaft ebenso wie von jedem Mitmenschen, dass sie oder er sich anständig, angemessen und fair verhält. Dasselbe erwarten sich Institutionen, Gesellschaften und Staaten im bilateralen Austausch. Globalisierung und Regionalisierung – im Sinne einer vernünftigen und nachhaltigen Arbeitsteilung –schließen sich demnach nicht aus. Egal ob global oder regional, es wird eine intelligente Kombination sein, die langfristig Erfolg für die Menschheit verspricht.

Dieser Beitrag wurde am 3. Februar in der Kleinen Zeitung publiziert. Der Wiener Kommunikationsberater Dr. Wilfried Seywald organisiert die Europäischen Toleranzgespräche vom 19. bis 22. Mai in Villach und Fresach. 2021 beschäft sich das Denker*innenforum mit dem Thema „Fairness – Die neue Globalisierung“.

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